Roman, Übersetzung von Susanne Baghestani
Insel Verlag 2006
303 S.
ISBN 3-458-172939
Zoya Pirzad stellt in ihrem Roman „Die Lichter lösche ich“ Lebenssituationen iranisch-armenischer Frauen vor.
Clarisse lebt als armenische Christin, verheiratet und mit drei schulpflichtigen Kindern in der Erdölstadt Abadan am Persischen Golf. Sie vermisst Teheran und ihren Buchhändler, aber sie liebt die grüne Enklave der Firma, in der sie wohnt. Mit muslimischen Iranern hat sie wenig Kontakt, die Araber, bettelarm im Staub direkt am Schatt lebend, gehören einer anderen Welt an. Man pflegt armenische Traditionen, den Glauben, die aufwendige Küche. Die jungen Frauen stecken viel Energie in eine gute Ausbildung, um interessante Ehemänner zu finden, die sie im Gegensatz zu den meisten Iranerinnen selbst auswählen. Ihre soziale Stellung machen sie jedoch wie ihre muslimischen Schwestern von der beruflichen Stellung des Ehemannes abhängig.
Es ist die Zeit der Weißen Revolution, 1962, 1963. Neuerungen aus den USA sickern in den Alltag. Man gibt sich weltoffen, indem man englische Wörter benutzt, chic ist, wer weiß, was trendy ist. Die politischen Interessen mancher Männer werden von Frauen wenig geteilt. Ein recht idealisierter Kommunismus wird in Salons und Hinterzimmern diskutiert, Flugzettel werden produziert, nicht ungefährlich zur Zeit der gefürchteten Geheimpolizei des Schahs. Klug hat Zoya Pirzad die Klippen der iranischen Zensur umschifft, indem sie ihre Geschichte in die Vergangenheit verlegte und so ein Buch veröffentlichte, das innerhalb kürzester Zeit zum Bestseller im eigenen Land wurde. Denn die Schriftstellerin schrieb als erste heimische Autorin über das Leben verheirateter Frauen, die lähmende Lageweile im eng begrenzten Alltag, die zögerliche, sich selbst nur schwer eingestandene Zuneigung zu einem fremden Mann. Zoya Pirzad wurde 1952 als Tochter eines Armeniers und einer iranischen Mutter geboren, wuchs christlich auf und lebt mittlerweile in Teheran als Übersetzerin und Autorin. Seit 1991 hat sie mehrere Erzählbände und Romane veröffentlicht, „Die Licher lösche ich“ ist der erste, der ins Deutsche übertragen wurde.
Es handelt sich nicht um eine iranische Version der Madame Bovary, wie irreführend auf dem Cover steht, denn die Heldin wählt selbstbewusst und sie verlässt auch nicht ihre Familie. Es geht Zoya Pirzad auch um etwas ganz anderes. Ihre Clarisse, gelangweilt, ermüdet, vom ständigen Einerlei ausgelaugt, wird durch das vage Interesse eines neuen Nachbarn, Emil Simonian, dazu gebracht, sich selbst und ihre Positionen in Frage zu stellen, sich Neuem zu öffnen, Interesse und eigene Talente zu pflegen. Die mögliche erotische Versuchung ist Nebensache.
Clarisses Mann Artosch hat eine iranische Sekretärin, die sich für Frauenwahlrecht, soziale Neuerungen, gesellschaftliche Veränderungen interessiert. Clarisse entdeckt voller Erstaunen, dass ihre abgeschottete Welt eingebettet ist in Fremdes, das sehr wohl Neugier verdient, Engagement, Zuwendung. Das beginnt nicht von ungefähr. Emil Simonian, verwitwet, mit gelinde gesagt, exzentrischer Tochter und einer faszinierend vielschichtigen, tyrannischen Mutter, kann zuhören, begeistert sich für Lyrik und dieselbe Prosa wie Clarisse, sieht scheinbar Nebensächliches. Kein Wunder, dass ihr diese Aufmerksamkeit gut tut – und sie selbst aufmerksam macht. Das turbulente Treiben ihrer lauten Familie, die ständigen Heiratspläne sämtlicher gerade unverheirateter Frauen, die subtilen Spitzen, mit denen das Leben innerhalb des armenischen Ghettos beschrieben wird, verleihen der Geschichte einige Komik. Was Zoya Pirzad jedoch wirklich gelingt, ist, dass sie alle, für Iranerinnen so relevanten Fragen behandelt, ohne zu überfrachten. Der Banalität wird Raum gegeben, aber die Art der Darstellung macht klar, dass hier tatsächlich etwas passiert, dass vieles mehrdeutig ist, dass Pausen und Schweigen Gewicht haben. Es mag ein sehr ruhiger Fluss sein, den Zoya Pirzad hier beschreibt, aber das stille Wasser trügt in jeder Hinsicht.
Dass die armenische Katastrophe von 1924 auch als Metapher für alle menschlichen Tragödien überall verstanden werden kann, erkennt Clarisse erst, als sie sich der Umwelt öffnet, beschließt, ihre Talente zu nutzen.
Die Übersetzung durch Susanne Baghestani ist überaus gelungen. Die unaufgeregte Sprache, der allmähliche Sog, den die Geschichte trotzdem entwickelt, die bewusst einfache Struktur im Stil und der Spannungskonstruktion hält auch im Deutschen der Erwartung stand. Ein kleines Leben mit alltäglichen Wünschen bekommt eine adäquate, aber nie ins wirklich Triviale abrutschende Schilderung. Erfreut werden Leser die vielen Hinweise und Erklärungen nutzen, die ruhig noch ausführlicher hätten sein können. Schade, dass das Lektorat einige Druck- und Grammatikfehler übersehen hat, es ist ein liebevoll gemachtes Buch, das noch mehr Sorgfalt verdient hätte.
Der Titel betont im Original das Fürwort „Ich“ noch viel mehr, bezieht er sich doch auf die letzte Handlung der Hausfrau abends, wenn die Letzten der Familie schlafen gehen, der trügerische Frieden der Nacht beginnt. Wie gut, dass uns noch solche Bücher aus Ländern erreichen, deren politische Führung unser Interesse an der Bevölkerung aus berechtigter Furcht vergessen lässt. Im Augenblick arbeitet Zoya Pirzad neben ihrem neuen Roman an der ersten Übersetzung von Lewis Caroll´s Alice in Wonderland ins Farsi. Zeichen dafür, dass Ausflüge in phantastische Reiche nicht nur Lebenshilfen sind, sondern weltweit auch als notwendige fiktive Paradiese betrachtet werden.
B.K.