Erzählung
Kitab Klagenfurt-Wien 2007. Broschur, 121 S.
Die Herrin der Weinberge
Andrea Stift irritiert nachhaltig mit einer Biografie
Über Großmütter erzählen viele und nicht immer hebt sich die Art der Darstellung über die Masse hinaus. Andrea Stift gelingt dies in „Reben“, indem sie die Lieblingsarbeit der Matriarchin als roten Faden wählt.
In der Südsteiermark, damals noch mitten im Slowenischdeutschen, jetzt direkt an der Grenze, entwickelt sich das Leben einer ungewöhnlich zielstrebigen Frau, die sich weder von politischen Entwicklungen, noch vom Wetter und schon gar nicht von ihren Kindern aufhalten lässt. Sie ist eine Bäuerin und gleichzeitig Dame, eine Respektsperson für alle, gefürchtet von vielen, geschätzt auch von Gegnern, geliebt von wenigen, bewundert bis weit über ihren Tod hinaus.
Aufstieg und Niedergang der Familie werden von ihr eingeleitet. Es ist eine wehrhafte Frau, die Gott aus ihrem Leben verbannt, weil er Schmerzen zulässt, die ihre Söhne begraben muss, Geliebten und Schwiegertöchtern das Leben schwer macht, stur zu ihren Überzeugungen steht und das Versinken der Familie in der Bedeutungslosigkeit akribisch aufzeichnet wie alles andere auch.
Solche Großmütter waren vermutlich nicht selten, aber an dieser Geschichte berührt die Art, wie die Urenkelin sich diesem Leben nähert, besonders. Andrea Stift, bereits mit mehreren österreichischen Preisen ausgezeichnet, bleibt vorsichtig bei Überprüfbaren, erwägt Erdachtes, immer klar unterscheidend zwischen Wissen und Möglichkeit. Da die Urgroßmutter den Weinbau vorangetrieben hat, wird ihr Leben dem Wachsen und Gedeihen der Stöcke, der saisonalen Arbeit gegenüber gestellt. Man lernt von bäuerlichen Gerätschaften, Fertigkeiten, Zwischenprodukten.
Manchmal verliert die Autorin die Distanz, Empathie, Ironie, Witz und Schmerz verstärken die Intimität, die Urenkelin wird sehr präsent als Erzählerin eines fremden Lebens. Das mag irritieren, aber überzeugend genug ist auch hier der Ton, der dieser ungewöhnlich imposanten Frau nachspürt: eine besondere Spurenlese, die Vieles verrät und einiges lehrt, so en passant und trotzdem einprägsam. Das Buch gerät zum Dialog zweier sehr starker Persönlichkeiten, in der eine der anderen hinterher ruft, nachjagt, zu enträtseln versucht. Das macht den größten Reiz aus und man verzeiht das allzu Private gerne, denn Andrea Stifts ungewöhnliche Stimme möchte man gerne einmal in einer rein fiktiven Erzählung hören.
B.K.
Veröffentlicht in der Furche 2007