Roman, Verlag Wortreich 2015
Wie tot ist Hans?
Lautlose Gewalt, subtile Grausamkeit: die junge Wienerin Magda Woitzuck über eine Dreiecksbeziehung in der Provinz
Kurz nach neun Uhr morgens putzt Rosa mit Bleiche das Haus, schrubbt Böden und Stufen, entsorgt tote Spatzen, einen blutigen Duschvorhang und hängt die eingetretene Türe aus. Ein Tag in brütender Hitze liegt vor ihr. Milo hingegen steigt in seinen Wagen und fährt Richtung Grenze, weil er etwas erledigen muss, um sein Leben wieder einigermaßen in den Griff zu bekommen und zu verstehen, was ihm passiert ist.
Und Hans ist tot.
Auf den ersten Seiten schon entwickelt Magda Woitzuck das Abbild einer stillen Tragödie, baut mit verknappter Präzision und schmerzhaft klaren Sätzen einen Alltag in der Provinz nach. Das Böse begleitet von Beginn an, unter der Oberfläche lauert eine Finsternis, die jede Zeile verdunkelt. Rosa ist nicht nur Opfer. Aber da nichts einfach ist und Grau viele Schattierungen kennt, dreht die Erzählerin behutsam die Spiralen enger. Klare Bilder, ins Licht gehobene Details ohne Schnörksel verstärken die trügerische Stille.
“Das vergangene Jahr, das Jahr mit Milo, war das beste in Hans' und Rosas Ehe gewesen.“ Warum das so ist und was daran so erschreckend ist, entpuppt sich leise. Die lautlose Gewalt, die dieser Erzählung innewohnt, steigert sich von Seite zu Seite. Man ergreift Partei, entsetzt sich über das Verständnis, das die Schriftstellerin weckt, obwohl das Böse mit Bösem bekämpft wird, Reue nicht entsteht. Und doch schafft sie mit dieser im Hintergrund lauernden Empathie eine geradezu tröstende Distanz zu den Figuren. Als bewegten sie sich unter Glasstürzen, als könnte man durch eine Lupe im Leben anderer gefahrlos betrachten, was im eigenen zu sehr schmerzen würde. Selbst in größter intimer Nähe, eingestandener Liebe klingt immer noch Einsamkeit durch.
Je weiter die Geschichte fortschreitet, desto mehr erkennt man die Verflechtungen, Ursachen und Wirkungen. Es sind lauter kleine Tragödien, die zur großen geführt haben. Es sind Enttäuschungen, Missverständnisse, das Verwechseln von Liebe mit Lust, fehlende Stärke im richtigen Augenblick. Es sind Dialoge, die eigentlich nebeneinander geführte Monologe sind. Während die Polizei den vermissten Ehemann sucht, wird in kurzen Sequenzen das Machtverhältnis zwischen Rosa und ihrer Mutter dargestellt: Sätze voll subtiler Grausamkeit, die Wahrheit umschiffende Rumpfgespräche in einer abgewohnten Küche. „Worte würden an ihrer Situation nichts ändern.“ Das ist Rosa in ihrem sprachlosen Leben klar. Jedoch passiert in diesen Tagen des Wartens etwas Grundlegendes. Rosa gewinnt eine stille Sicherheit, erkennt ihr eigentliches Wesen und zieht daraus die richtigen Schlüsse.
Magda Woitzuck, geboren 1983, hat bereits für unterschiedliche Texte Preise erhalten und aufhorchen lassen. „Über allem war Licht“ erschien in einem neuen Verlag, der nicht nur handwerklich schön gestaltete Bücher auf den Markt bringt, sondern mit noch unbekannten, wenngleich vielversprechenden Autoren punkten will. Woitzucks Talent, eine Dreiecksbeziehung so eindringlich und vor allem aufregend neu zu beschreiben, lässt auf weitere schöne Überraschungen hoffen, denn dieser Roman gehört zu den beeindruckendsten Liebesdarstellungen dieses Bücherjahres, und das liegt an der Sprache, der vordergründigen Ruhe, der Stimme der jungen Österreicherin.
B.K.
Veröffentlicht im Spektrum, Die Presse, 13.8.2015