Roman
Aus dem Italienischen von Sigrid Vagt
Zsolnay Verlag Wien 2007
170 Seiten, geb.
Fröhliches Überleben in einem Totenland
Salvatore Niffoi unterhält mit grotesken Sirenengesängen
Vor den Toren zum Nichts scheint in Abacrasta im wilden sardischen Hochland keine Macht zu schützen. Menschen werden vom Fluch in den Selbstmord hineingerufen und können nichts entgegen halten. Widerstandslos hängen sich die Männer am Gürtel, die Frauen am Strick auf, nachdem sie vorher noch sorgsam den richtigen Baum, den passenden Balken, den stimmigsten Ort für ihren Exitus ausgewählt und vorbereitet haben.
Geballtes Unglück
Aufgelistet, bewahrt und erzählt werden die Biografien dieser Unglücklichen von Battì, dem Standesbeamten, der selbst an seinem unerfüllten Leben krankt. Als er seinen letzten Schutzwall vor der tödlichen Stimme, das endlose Schreiben an einem Buch über seine Mitmenschen, zu verlieren glaubt, kreuzt Redenta Tiria rettend seinen Weg. Er gewinnt eine nie gekannte Lebensfreude als Rollstuhlfahrer und beendet die vorliegende Geschichtensammlung.
Mord und Totschlag, Vergewaltigung, Nötigung, Prügelei bis aufs Blut als gängige Erziehungsmethode, Erniedrigung und Diebstahl reihen sich ununterbrochen aneinander, Familien verdanken ihre Entstehung einem Kapitalverbrechen, ihr Fortkommen verbrecherischen Aktivitäten. Liebe um der Liebe willen kommt selten vor und endet auch fast immer tragisch. Geballtes Unglück und ein Fatum, das wirklich nur zum Aufhängen ermuntert, ist so nur in den Epen rund ums antike Atridengeschlecht beschrieben worden. Salvatore Niffoi jedoch gelingt damit das Kunststück eines schwarzhumorigen und warmherzigen Gesanges auf Hoffnung und Lebensfreude. Voller Leichtigkeit gewährt er uns Einblick in ein schreckliches Dorfleben mitten im Duft wilder Kräuter, umrahmt von steinigen Weiden und Schafskötel. Die Kargheit des Landes spiegelt sich in der Kargheit des menschlichen Miteinander.
Besonders interessant schafft Niffoi den Übergang von Aberglaube und tradierten Riten in die Moderne, denn die Bauern verwenden natürlich technische Hilfsmittel, soweit es geht. Handy, Computer und Spiele der Stadtjugend finden ihren Platz genau so im schroffen Hochland. Der erste Eindruck, hier einer alten Geschichtensammlung aus längst vergangenen Tagen zu begegnen, verliert sich schnell.
Heilung durch Blinde
Heilung passiert dem Dorf durch eine blinde Frau, die wie eine Fee auftaucht. Der Märchencharakter wird bewusst verstärkt. Redenta Tiria ist zur Stelle, wenn Selbstmord der einzige Ausweg scheint. Ihr Aufruf, nicht alles wegzuschmeissen, endlich mit echtem Leben anzufangen und sinnvoll zu existieren, hat leichten Heilscharakter. Aber wie in Märchen wirkt es auch hier überzeugend, ohne kitschig oder missionarisch zu sein.
Salvatore Niffoi, 1950 auf Sardinien geboren und dort auch als Lehrer tätig, hat in den letzten Jahren einige erstaunliche Bücher geschrieben, die nicht nur in Italien Furore machten. Denn Niffoi verwendet raffiniert alte literarische Formen und baut damit magisch bezaubernde Texte, selbst die sardischen Satzfragmente, unübersetzbar, haben nicht den Touch gewollter Folklore. Witzig ist dieses Buch, obwohl die wirklich gute Übersetzerin Sigrid Vagt manchmal leicht bremsend wirkt. Niffois Opulenz der Bilder, die Assoziationen zu Kirchenlatein und Lautmalerei sind schwer zu übertragen.
Jede der Geschichten hat ihre spezielle Stärke, manche sind fast nicht überbietbar in ihrer Komik und gleichzeitigen Tragik. Eine höllisch gute Lektüre ist diese Legende nicht nur für Sardinienfans.
B.K.
Veröffentlicht in Die Furche Nr.36/4.9.08