Roman
Aus dem Englischen von Annette Meyer-Prien
Rowohlt Berlin Verlag 2010
Geb. 287 S.
Rubas Geheimnis
Ein Roman aus dem untergegangenen Libanon
Man erinnert sich noch an die Schweiz des Orients, an das Ende des Friedens im Libanon. Das Chaos der wechselnden Fronten und bekriegenden Parteien lichtete sich in den letzten Jahren nicht wirklich. Dieser Roman führt hinein in eine Welt, deren Hintergrund beginnendes Kampfgeräusch ist.
Ruba ist ein Kind aus christlicher Familie in einem Dorf, das von Flüchtenden aus Beirut langsam überrollt wird, an einem Berg, dessen Wälder dem Krieg zum Opfer fallen, in einem Haus, in dem der Vater ein schweigender Klotz ist, verstrickt in fürchterlichen Erinnerungen. Ruba versteht weder, warum Religion Menschen voneinander trennt, noch, warum die Freude aus ihrem Elterhaus verschwunden ist. Aber sie ist neugierig, zieht Schlüsse und handelt danach, was auch im Familienkosmos einiges verändert.
Ungemein gekonnt und berührend schildert Nathalie Abi-Ezzi, die als Jugendliche 1983 den Libanon verließ und nun in London als Schriftstellerin lebt, die einschneidenden Geschehnisse 1981, den Einmarsch der Israelis, den Abzug der Palästinenser, das Bombardement des Landes. Ihr Erstling ist keine Verurteilung einer Seite, keine Schuldzuweisung, sondern eine hinreißende Studie aus der Kindperspektive über die Abwesenheit von Liebe, über Sehnsucht nach Geborgenheit und das Verlangen nach Frieden.
Eine Geschichte über Verlust und Unschuld
Nathalie Abi-Ezzi hat sich nicht nur auf ihre Erinnerungen verlassen, sondern akribisch recherchiert. Trotzdem ist daraus kein Kriegsreport entstanden, sondern eine Geschichte voll leiser Töne, die nicht verschweigt, dass der Libanon seine Umwelt zerstört hat, dass die Vernichtung auf vielen, sehr unterschiedlichen Ebenen stattfand. Freundschaften zwischen nunmehr verfeindeten Volks- und Religionsgruppen waren einmal möglich und die Trauer über diesen Verlust schwingt mit. Mit großartiger Leichtigkeit beschreibt die Autorin das Entstehen von Hass und Vorurteil, die kindliche Perspektive hält nie für Verniedlichung und Kitsch her, spannend gestaltet sich ein Leben zwischen Fronten, vor aufeinander prallenden Geheimnissen.
Der Berlin Verlag hat wieder eine gute Hand im Einkauf bewiesen und in Annette Meyer-Prien eine einfühlsame Übersetzerin für Rubas Geschichte gefunden. Schade nur, dass der Originaltitel nicht erhalten blieb, „Ein Mädchen aus Staub“ vermittelt sehr viel mehr die erschreckende Vergänglichkeit, die ein Leitmotiv dieses wunderbaren Debüts ist.
B.K.
Veröffentlicht in der FURCHE 2010