Roman Aus d. Niederländ. v. Christiane Kuby
Claasen Verlag, Berlin 2007,
394 Seiten, geb. €20,50
Brüchige Festung
Kader Abdolah erzählt die Geschichte des Irans als Geschichte einer Familie
Seit acht Jahrhunderten wohnt die Familie von Agha Djan, die Händler, Dichter und Imame hervorgebracht hat, im „Haus an der Moschee“. Senedjan ist eine religiöse Stadt im Norden Irans, Geistliche und die Führer des Bazars leiten ruhig die Geschicke der Gemeinde, versuchen, den Neuerungen Shah Reza Pahlevis Gutes abzugewinnen, und die Traditionen trotzdem zu pflegen. Die Familie ist groß, eigenwillige Charaktere bevölkern das Haus, die Machtstrukturen sind nicht festgefahren.
Der Modernisierungsdruck aus Teheran wird immer stärker und allen ist klar, warum der CIA die Regierung gestürzt und den vertriebenen Schah zurückgeholt hat. Langsam wächst das Verständnis für Ayatollahs, die unter den Augen der gefürchteten Geheimpolizei ein gut funktionierendes Widerstandsnetz aufbauen. Agha Djan versucht, seine Familie aus der Politik heraus zu halten. Er hat genügend damit zu tun, seinen westlich orientierten Bruder zu verstehen, den Bazar zu organisieren, das Studium der Kinder zu finanzieren, geeignete Partner für sie zu finden.
Im verwinkelten Keller des Hauses werden die Erinnerungsstücke an vergangene Generationen aufbewahrt, man hütet die Geheimnisse der Familie, verbotene Beziehungen, versteckte Wünsche. Aber das Haus ist auch der Ort für große Feste und opulente Gastfreundschaft, und Fluchtweg über das Dach hinüber ins Minarett, in die Moschee.
Als der Kampf zwischen Traditionalisten, Kommunisten und Staatspolizei voll entflammt, wird das Haus zu einer Festung für fromme Muslime und linke Träumer. Die Familie, mittlerweile in politische Lager gespalten, hält noch mühsam zusammen. Doch vorhersehbar ist bereits, dass indoktrinierte Mitglieder denunzieren, rauben, töten werden. Nach der Revolution Khomeinis beginnt das Blutbad, das Haus wird zu einem Schattengefängnis.
Der Autor beschreibt, wie aus Kindern Ungeheuer werden, aus Eltern geifernde Mitläufer, von Hass beseelt. Er schildert Liebe in vielen Varianten, Irrwege und feige Fluchten. Er klagt die Bestialität der ehemaligen Mächtigen an, und lässt keinen Zweifel, dass die Despotie der Mullahs noch brutaler, noch blutiger begann. Es ist ein Buch, das Verständnis weckt für Fremdes, ohne sich anzubiedern oder zu missionieren, ein Roman, der Grenzen in mancher Hinsicht überschreitet.
Kader Abdolah, dessen Name ein Pseudonym ist, zusammengesetzt aus den Namen zweier ermordeter Freunde, ist mit diesem schillernden Sittengemälde ein Roman gelungen, der westlichen Lesern nicht nur die moderne Geschichte des Iran erklärt, sondern auch die Zauberwelt des geschriebenen Wortes, das im Orient so hohen Stellenwert besitzt
Heute lebt Kader Abdolah in den Niederlanden, gehört zu den bekanntesten iranischen Exil-Autoren und hat für seine Bücher bereits mehrere Preise erhalten. „Das Haus an der Moschee“ besticht durch seine Sprache, die voller Leichtigkeit die Magie des Augenblicks festhält, Grausamkeit und Schönheit beeindruckend schildert. Christiane Kuby ist es gelungen, diesem schillernden Spektrum in der Übersetzung nichts von seiner Farbigkeit zu nehmen.
B.K.
Veröffentlicht in Die Furche Nr.8/21.Februar 2008