In der Übersetzung von Ursula Gräfe und Kimiko Nakayama-Ziegler
Roman Hanser München 2008
Geb., 223S.
Liebesnöte in Tokio
Ein Trödelladen in einer Seitengasse in Tokio als Kleinbühne für eine Handvoll Menschen:
Hiromi Kawakamis Roman „Herr Nakano und die Frauen“.
Hitomi sucht Arbeit und findet sie in Herrn Nakanos Trödelladen, einem liebenswerten Ramschgeschäft in einer Seitengasse irgendwo in Tokio. Der noch jüngere Takeo wird kurz nach ihr als Fahrer, Schlepper, Ankäufer eingestellt. Für beide ist Herr Nakano unbegreifbarer Narr mit kaufmännischem Talent. Nakano seinerseits, zum dritten Mal verheiratet und immer auf Ausschau nach einem Seitensprung, wird von der sehr geschätzten Geliebten Sakiko, einer Kunstsachverständigen und Liebhaberin erotischer Texte, verlassen. Nakanos ältere Schwester Masayo, Künstlerin, lernt hingegen erst spät eine Liebe kennen und zu spät, um sie wirklich zu leben.
Der Unterschied zwischen Lust und Liebe beschäftigt nicht nur Hitomi, die Gedanken aller Akteure kreisen unaufhörlich darum. Dabei verharren alle eigenartig passiv. Ein Erzähltrick Kawakamis, denn wie an Fäden hängen ihre Figuren, das nicht Gesagte hat ebenso viel Gewicht wie das Gesagte, die japanische Art, hinter allem eine verborgene Bedeutung zu vermuten und auf der Jagd nach dieser Wahrheit eine subtile Oberflächlichkeit zu entwickeln, fasziniert und ermüdet gleichermaßen. Es ist eine lineare, seltsam distanzierte Darstellung des Alltags. Erst im Verlauf der Lektüre wird klar, wie das die neue Erfolgsautorin Japans macht: sie baut die kurzen Szenen nach einem ganz bestimmten Schema auf, stets werden sie von einer Farbe, einem Klang, einem Blick auf ein Detail beendet, der Laden gerät so zur Kleinbühne für eine Handvoll Menschen.
Die zwei Generationen, die die Geschichte tragen, empfinden die Kultur Europas als faszinierend fremd und wissen amerikanische Technik schnell für sich zu nutzen. Die vielen einsamen Singles, sehnsüchtig nach Beziehungen, die über gemeinsame Stunden in Love Hotels hinausgehen, erscheinen in diesem Roman verzerrt in Ausschnitten von schmerzhafter Süße.
Mit solchen Romanen punktet Hiromi Kawakami, 1958 in Tokio geboren, bei ihren Landsleuten seit Jahren. Im deutschen Sprachraum wird sie gerade erst entdeckt. Kawakami begleitet in „Herr Nakano und die Frauen“ alle Akteure für ein Jahr und setzt dann erst nach einer Pause von drei Jahren fort. Die Jungen sind erwachsener geworden, die Einsamkeit ist immer noch greifbar, für eine Liebe ist es zu spät, eine andere erfüllt sich vielleicht. Die Stadt selbst entzieht sich dem Leser, die Gucklochperspektive erlaubt nur den Blick auf eine Gasse, ein Viertel, auf Nakano als Kreuzungspunkt erotischen Wirrwarrs. Eigentlich eine traurige Geschichte, die bezaubernd erzählt ist und der Hoffnung auf der Spur bleibt.
B.K.
Veröffentlicht im Booklet der Furche, Nr. 10 ,5.3.2009