Hanser 2005,
geb., 264S.,
ISBN 3-446-20572-1
Von der Kunst, in der Apokalypse spazieren zu gehen
Ein Bericht aus Christoph Meckels Traumruinen
Flanieren setzte ich bis jetzt mit amüsiertem Schlendern gleich, doch Christoph Meckel hat mir anderes geschenkt, überzeugend, erschreckend, mit den Widerhaken versehen, die gute Geschichten im weiteren Leserleben verankern. In sieben Erzählungen und einem Epilog, zum Teil bereits einzeln veröffentlicht, das erste Mal nun aber gebündelt wie ein kaleidoskopischer Episodenroman, führen Meckels namenlose Helden in eine Welt der Zerstörung und Einsamkeit. Egal ob als Hausmeister verlassener Kasernen, Architekt vor gebrandschatzten Regierungsgebäuden, paramilitärischer Entsorger von scharfen Bomben und Blindgängern, sterbender Beobachter einer endzeitlichen Szene – der Erzähler ist der zum Menschen gewordene versehrte Engel mit gebrochenen Flügeln, wie ich ihn aus Meckels surrealen Zeichnungen kenne.
Und warum, bitte schön, soll man sich das antun, diese formidablen Märchen von der Einsamkeit, dem Sterben, dem „Angetötet Werden“? Schmeckt das nicht speziell bitter neben den fürchterlichen Nachrichten, die uns ohnedies Bilder vom Terror frei Haus liefern?
Eine „Deformation des Daseins“
Eben weil es nicht nur weh tut, sondern auch verführt und verzaubert! Hier zeigt sich Christoph Meckels Meisterschaft. Seine Lichtmetaphern, früher manchmal überstrapaziert, leuchten schmerzhaft schön und brillant formuliert in reduziert präziser Sprache. Ich ertappe mich dabei, dem Helden hinterher zu stolpern, hinein in diese luziden Landschaften, deren Schrecken derartige Schönheit aufweisen. Mit seinen wechselnden Innen- Außenansichten, seinen oft recht eindeutigen Querverweisen zu früheren eigenen Texten und zu Stellen der Weltliteratur, den geografischen und historischen Hinweisen verankert er seine Fiktion in unserer Welt. Er spielt mit bekannten Kontexten und Koordinaten, kratzt Verputz herunter, schält Fassaden bis alte und neue Wunden offen liegen. Aufgegebene Städte, Straßenkreuzungen, Strände, verlassene Wohnungen und Hinterzimmer sind die Rückzugsräume seines isolierten Helden, der immer auch Archivar der Schrecken ist : „Den Ausnahmezustand sieht, wer ihn sehen will.“
Meckels Männer scheinen Opfer, aggressive Verängstigte zu sein, irrend, verletzend, vage bereuend. Selbst die Wüste ist nicht Landschaft für sich, sondern nur Kulisse für ein Menetekel, Schauplatz einer grauenerregenden Umweltkatastrophe, von Menschen für Menschen produziert. Der wissenschaftlich denkende Mann, der diese Geschichte erzählt, arrangiert sich mit dem Übel und verharrt in Tatenlosigkeit.
In einer anderen Geschichte begibt sich der Mann, todkrank und das Ende akzeptierend, auf seine letzte Reise, um dem Sterben entgegen zu wandern. Hier finde ich die besten Traumsequenzen Christoph Meckels, hier berührt er zärtlich und aufwühlend zugleich, erschafft gerade zu mythische Sehnsucht und innere Stille fern von Angst in einer uninteressierten, kühlen Umgebung.
Frauen als Retterinnen
Der wortgewaltige Lupenblick Meckels richtet sich immer wieder auf Frauen, die in allen Geschichten die Überlebenden, die Starken, die Robusten sind – selbst wenn sie in unmittelbarer Gefahr schweben. Sie erscheinen am Rande, aber sie beeinflussen das Leben des Helden nachhaltig. Als Überlebende einer Katastrophe sind sie diejenigen, die sich aktiv der Zukunft zuwenden. Im Epilog taucht Findel, das Kind, auf, ein kleines Mädchen, das ohne Erinnerung nach einem traumatischen Erlebnis in die Welt derer, die vergessen wollen, kommt. Sie sucht die zerstörten Wurzeln, den Neubeginn.
Wie lebt es sich am Rande der Zeit, als Zeuge wider Willen, der bewusst wahrnimmt und bewahrt? Christoph Meckel macht das permanente Sterben rund um uns zum Thema, mit hartem Strich und schmerzhaft greller Schraffur. Er hat ein sperriges Buch geschrieben, das ein wunderbarer Begleiter ist, um alte Fragen neu zu stellen und die eigenen Positionen zu überdenken.
B.K.
Veröffentlicht in der Furche 2005 und 2010 auf www.fixpoetry.com