Ullstein Verlag 2004
280 S., EurD 18 / EurA 18.50 / SFr 40.50
STÜRMISCHE REISE
Griechenland, genauer gesagt, ein Bootstrip mit Freunden in der Ägäis bietet den Rahmen für Edith Kneifls neuen Krimi „Kinder der Medusa“ mit Joe Bellini, die ihren Lesern bereits aus „Auf den ersten Blick“ bekannt ist. Nun ist eine Freundesgruppe mit einer Segelyacht unterwegs. Die Wiener Psychoanalytikerin Joe erzählt die Geschichte, führt ein Tagebuch, das vom 3. bis zum 11. September reicht. In klassisch österreichischer Manier schwenkt sie dabei von der Vergangenheit ins Präteritum, eine Erzählstimme, der man schnell verfällt. Unterbrochen wird ihr teils ironischer, teils boshafter, oft zutiefst betroffener Diskurs von seltenen, gekonnt eingesetzten Perspektivwechseln, wenn die zwei Männer an Bord den letalen Unfall und einen (möglichen?) Mord miterleben. Joe Bellini will nichts anderes als ein paar Tage ausspannen, braucht Abstand von ihrem Beruf und will herausfinden, ob sich die schwierig gestaltende Beziehung zu einem noch nicht wirklich vertrauten Mann das ist, was sie will. Also weg aus Wien, hin in den Süden, Urlaubsspaß mit Freunden.
Aber das Ehepaar bekriegt sich, die Schwägerin funkt sublim dazwischen, die Freundinnen verfolgen ihre eigenen Ziele, die Tochter verliebt sich in den Ziehsohn des Skippers. Ist das nun wieder eine überschaubare Gruppe, die da plötzlich mit einem Toten (oder zweien?) konfrontiert wird, ein klassischer Krimi, in dem der Täter vorgeführt wird? Nicht ganz. Glücklicherweise.
Thema Kneifls ist nämlich nicht der gewaltsame Tod an sich, und hier beginnt er sich vom Üblichen abzuheben. Es geht ihr in Wirklichkeit um den Umgang mit dem eigenen Altern, den Abschied von Illusionen, der umso mehr schmerzt, je stärker die Sehnsüchte nach persönlichen Idyllen sind. Der schöne Schein der Urlaubswelt zerbricht. Fast keines der persönlichen Ziele der Protagonisten wird erreicht. Die Insel, auf der sie notgedrungen landen, entpuppt sich nicht nur als ausgesprochen ungastlich. Die Bewohner, aggressiv, debil und Opfer ihrer eigenen Geschichte, sind wie eine Metapher für das Zerbröckeln der Masken und Maskeraden aller zu lesen.
Dass Edith Kneifl viel vom spannenden Zusammenspiel unterschiedlicher Personen weiß, hat sie schon in ihren vorangegangenen Krimis bewiesen. In diesem Roman kommt noch hinzu, dass sie geschickt Urlaubsflair mit historischen Zusammenhängen, blutige Geschichte und ihre Rolle in individuellen Schicksalen verflicht. Auch die Flucht in Ferienreisen erspart die Erkenntnis nicht, dass Alltag und Sehnsüchte oft wenig miteinander zu tun haben. Wie sehr dann Einflüsse von außen, soziale oder historisch bedingte Gegebenheiten selbst einen harmlos geplanten Urlaub verändern können, das führt Edith Kneifl in den „Kindern der Medusa“ gekonnt vor. Steckt man in einer Krise, können griechische Inseln manchmal erschreckend mehr bieten als in den Führern steht.
B. K.
Veröffentlicht in der Buchkultur 2004