Roman
Aus dem kubanischen Spanisch von Hans-Joachim Hartstein
Unionsverlag, Zürich 2008,
360 Seiten, geb.
Kuba-Krimi
Leonardo Paduras neuer Roman stört Klischees.
El Conde liebt Bücher. Außerdem ist er seinen Freunden, dem Hasenzahn, dem Roten Candido und dem Dünnen Carlos, der seit dem Angolakrieg in einem Rollstuhl vor sich hinfettet, zutiefst verbunden. Mario Conde, der wunderbar widersprüchliche Held Leonardo Paduras, führt auch diesmal wieder quer durch die Viertel Havannas, die der Tourist so ganz sicher nicht kennt.
„Hier leben alle von irgendwas, (….) die da spielen Domino, um Geld, klar. Aber einer vermietet den Tisch, ein anderer verkauft Bier, wieder ein anderer Essen, er Nächste verkauft Zigaretten, der übernächste züchtet Kampfhunde, noch ein anderer vermietet sein Zimmer als Privatpension, und einer sagt Bescheid, wenn die Polizei anrückt.“
Leben als Manipulation
Leonardo Padura, 1955 in Havanna geboren, studierte Lateinamerikanistik, seine Reportagen gehörten zu den beliebtesten und daher auch zu den misstrauisch vom Regime beäugten. Als exzellenter ehemaliger Journalist gibt er die hilfreiche Unterstützung eines bibliomanen befreundeten Buchhändlers an – aber Kenner des kubanischen Schriftstellers wissen um sein stupendes Wissen über Literatur und Musik Kubas.
„Im Grunde war mein ganzes Leben nichts anderes als eine fortgesetzte, aber fehlgeschlagene Manipulation der Wirklichkeit“ dachte El Conde. Seit zehn Jahren ist Mario Conde nicht mehr bei der Kriminalpolizei. Nicht korruptionsanfällig, nicht auf Parteilinie und mit einem Gerechtigkeitssinn ausgestattet, der es ihm verbot, im Machtapparat weiter zu arbeiten, hat sich El Conde auf das Buchantiquariat spezialisiert.
El Conde stolpert über eine großartige private Bibliothek in einem verfallenen und von der Salzluft zerfressenen Haus. Die Besitzer sind am Verhungern, der Verkauf ausgesuchter Bände könnte ihr Leben retten. Da fällt dem Expolizisten in einem Buch ein Zeitungsausschnitt in die Hände und eine dramatische Geschichte beginnt. Das Jahr vor Batistas Sturz wird mithilfe der Erinnerungen alter Leute aufgerollt, wobei der Fokus nicht auf der Politik, auf den Verflechtungen von amerikanischer Mafia, CIA und den Reichen der Insel liegt, sondern auf der Musikszene, bei den Sängerinnen, Bediensteten, einem verliebten Reporter, einem toten Vater.
Ein Vergnügen, wie die Geschichte einer unglücklichen Liebe in ihren vielen Facetten bis hin zum tragischen Ende als roter Faden für soviel Information gesponnen wird. Mario Conde sieht zwar, was alles faul ist im Inselstaat, aber er hat für sich herausgefunden, wenn genügend zu essen und Rum da ist, reicht es, verlässliche Freunde und Bücher von ausgezeichneter Machart zu haben, um die Widrigkeiten auszuhalten. Bücher hortet er, will sie nicht an die reichen Ausländer verhökern, er sieht sie als den einzig wahren Schatz des Landes. Dafür muss er sich auch in die schlimmsten Slums Havannas begeben, dorthin, wo der Hunger die Menschen zu Bestien macht.
Opulentes Sittenbild
Leonardo Padura bespricht kurzweilig und tiefsinnig die soziale und politische Lage des Landes, blättert in Ursache und Wirkung, die Handlung spielt um die Jahrtausendwende, als am Ende der für viele tödlichen Hungerperiode in Kuba. Er bringt eine Unmenge an Details, die jedes Klischeedenken karibikhungriger „Westler“ zerstören können. Gleichzeitig jedoch schafft er ein opulentes, beglückendes Sittenbild zu schaffen.
Wie unterhaltsam, mit welchem Witz er die Komplexität der Materie an den Leser bringt! Die Erzählstimme ist ein rasant rhythmisches Vergnügen, bildgewaltig ohne Überfrachtung. „Der Nebel von gestern“ ist ein Kleinod der Kriminalliteratur. Die Übersetzung von Hans-Joachim Hartstein versucht, dieser vielfältigen Leichtigkeit zu folgen, besonders glücklich gelungen in der Übertragung der Dialoge.
Der Roman erhielt verdientermaßen 2005 den spanischen Premio Hammett und ist ein wunderbares Beispiel dafür, wie ein Krimi sehr, sehr viel mehr sein kann als nur eine traurig spannende Geschichte über das Böse. Für alle, die sich für Revolutionen, politische Umwälzungen und ihre Langzeitwirkungen interessieren, ist dieses Buch zu empfehlen. Aber auch das Wesen des Bolero, des interessantesten Musikkapitels Kubas, wird liebevoll dargestellt und erklärt.
Wer sich mit der Kunst des Buchdrucks in einem für Bücher mörderischen Klima beschäftigen will, wird auf seine Kosten kommen und allen, die Kuba lieben, auch trotz der herrschenden Umstände, ist dieses Buch als weiteres Schatzkästlein wärmstens zu empfehlen.
B.K.
Veröffentlicht in „DIE FURCHE“ Nr.31/31.Juli 2008