Ariadne Kriminalroman 1224
Gebunden mit Schutzumschlag
und Lesebändchen
ca. 256 S., 12 x 18,5 cm
15 € [D]
ISBN 978-3-86754-224-1
Flüchtlinge auf dem Meer, Flüchtlinge unterwegs an Küsten, Flüchtlinge, die angekommen scheinen und doch immer noch davonlaufen vor ihren Familien, vor ihren Problemen, vor ihren Lebenslügen.
In diesem aufregenden Roman gelingt Merle Kröger ein literarischer Parforceritt, denn sie sprengt alle Genregrenzen; ihre Erzählerstimmen ordnen sich überzeugend und federleicht dem Tempo unter, mit dem sie ihre Helden in die Katastrophe und aufeinander zutreibt. Jede Figur steht für eine Art desaströsen Home Run, in dem wache LeserInnen nicht nur das Flüchtlingselend vor unserem Kontinent, sondern auch viele eigene Fragen und Zweifel dargestellt finden.
48 Stunden bilden den Zeitrahmen. Auf der feinen „Spirit of Europe“, einer schwimmenden Stadt vor der spanischen Küste, genießen Touristen ihre Ferien, während ein Frachter sich langsam nähert, ein Sturm aufzieht, und ein mutiger Algerier zum hoffentlich letzten Mal ein Boot voller Flüchtlinge Richtung Norden steuert. Dass der Luxusliner ein Gefängnis für illegal Arbeitende ist, die zwischen bürokratische Fronten geraten sind, dass an Land Menschen voll Sehnsucht warten, während andere ihre Hoffnung bereits begraben, und gar nichts mehr sicher zu sein scheint, verstärkt die düstere Dramatik. Selbst die Liebe scheint keine Rettung zu versprechen.
Ungestüm drängt uns Merle Kröger in die kunstvoll verflochtene Geschichte: drei Schiffe, ein Boot, zwei Küstenstriche nördlich und südlich der Meerenge von Gibraltar sind die wichtigsten Schauplätze. Jeder ihrer Protagonisten schleppt schwer an seiner Vergangenheit, alle Wünsche sind bis zu einem gewissen Grad nachvollziehbar, auch wenn ihre Verwirklichung schreckliche Folgen hätten. Kröger spielt gekonnt mit den Grauschattierungen ihrer Charaktere und schafft es, ohne erhobenen Zeigefinger die Gier anzuprangern, der wir nicht nur lebenserhaltende Energie, sondern vor allem Bösartigkeit und Tod verdanken.
Vor vielen Jahren schon begann die Filmemacherin Merle Kröger, sich mit Menschen ohne Papiere, vertriebenen Menschen auseinanderzusetzen. Dass das Buch, ihr vierter Roman, nun während einem Höhepunkt der unglückseligen Entwicklung vor uns liegt, konnte sie damals nicht vorausahnen. Vielleicht ist dieser Band, den sie ein „Hybridbuch“ nennt, weil es Fotos, essayistische Elemente, Thriller und Gesellschaftsroman so gekonnt verquickt, deshalb eine Geschichte, die sich zur Pflichtlektüre über diese neue, blutige Migration eignet. Auf jeden Fall ist der stilistisch ungewöhnlich konzipierte Roman eine Darstellung von Überleben unter widrigen Umständen,: ein politischer Krimi in einer Sprache, die einem den Atem nimmt, Helden und Heldinnen, die das Herz berühren und die die Fremde in etwas Vertrautes verwandeln.
B.K.