Ariadne Krimi im Argument Verlag 2014, geb., 253 S.
Nur noch ein wenig mehr als ein Jahr hat der junge Dieb Filippo in einem römischen Gefängnis zu verbringen. Die letzten Monate waren wenigstens nicht so schlimm, denn seit der ältere Carlo, ein Politischer und offensichtlich auch Bombenleger, seine Zelle teilt, gibt es Jemanden, der ihm die Welt erklärt, der einen Zuhörer braucht, der Filippo wahrnimmt als Person. Endlich nicht mehr so einsam, endlich für wert befunden, etwas zu lernen; auch wenn es mit Politik zu tun hat, den längst vergangenen Anschlägen der Siebziger Jahre. Filippo interessiert das wenig, aber er hört zu, gebannt von der Begeisterung, die Carlo immer noch versprüht. Kein Wunder, dass Filippo ohne nachzudenken Carlo hinterher springt, als dieser im Februar 1987 ausbricht.
Filippo hat nichts geplant, nichts überlegt, nichts vorbereitet. Er hat nur gehandelt. Carlos Fluchthelfer sind nicht angetan. Aber sie nehmen ihn doch mit hinauf in die Berge, bläuen ihm ein, sich versteckt zu halten, nordwärts zu wandern. Carlo redet von einem Treffen in Mailand und gibt ihm ohne Wissen der anderen noch den Namen und die Adresse einer ehemaligen Freundin in Paris. Für den absoluten Notfall.
Als Filippo Wochen später aus den Gebirgstälern hinunter in die Poebene steigt, verändert sich alles: Carlo wird bei einem Banküberfall erschossen, der unschuldige Filippo als sein Fluchtkumpan gesucht. Paris ist nun die einzige Alternative. Und der völlig unbedarfte junge Italiener wird mit großem Misstrauen von der Exilkommune der ehemaligen Aktivisten empfangen. Jeder spioniert jedem nach, von Heimweh und Angst vor Repressalien zerfressen ist die Gruppe der italienischen Emigranten keine Hilfe. Nur Carlos trauernde Geliebte empfiehlt Filippo weiter, will jedoch auch nichts mit ihm zu tun haben. Filippo bekommt einen Job: Wachposten in einem Bürogebäude; zur Einsamkeit gesellt sich drückende Langeweile und die Erkenntnis, in einer Sackgasse gelandet zu sein.
An diesem Punkt entwickelt Dominique Manotti, die an mehreren Pariser Universitäten Wirtschaftsgeschichte lehrte und versiert historische Hintergründe in ihren Romanen darstellt, eine wunderbare Studie: ihr junger Held entscheidet sich, sein Leben zu verändern, etwas zu wagen, den vorgegebenen Rahmen seines mickrigen Schicksals zu sprengen. Er erzählt eine Geschichte, indem er seine Flucht als Ausgangspunkt nimmt, und verwendet Sprache als Mittel seiner persönlichen Befreiung.
Dieser empfehlenswerte Thriller, aufgebaut auf einem Buch im Buch (eine schwierige Struktur, die hier meisterlich präsentiert wird), zeigt, wie literarisch ein guter Krimi sein kann. Die hinzugefügte Legende beinhaltet außerdem für Politik interessierte LeserInnen gute Einstiegsquellen aus Netz und Buchmarkt.
Absolut nachvollziehbar und glaubwürdig schildert Manotti, wie der „thumbe Tor“ Filippo einen Bestseller hinlegt, der Schickeria und Polizei, Exilanten und Geheimdienste gleichermaßen beunruhigt, aufbringt und zum Handeln zwingt. Spannend baut sich der Schrecken auf, werden in völlig zurückgenommenem Ton Fakten auf den Tisch gelegt. Manotti analysiert, beschreibt und spendet wenig Trost. Ihr Blick auf die Menschen beschönigt nichts und deutet doch ohne Schnörkel an, dass es anders sein könnte, dass ein Miteinander möglich ist.
B. K.
Veröffentlicht Frühjahr 2014 auf www.crimechronicles.co.uk