Band 5 in der Reihe Neue Lyrik aus Österreich, Berger Verlag 2014
Wurzelbehandlungen fürs Herz will sie nicht – und doch geht’s genau darum. Lydia Steinbacher, die schon als Teenager von Evelyn Schlag und Peter Bubenik in das lyrische Handwerk eingeführt wurde, verblüfft mit ihren Gedichten. Ja, sie ist jung (zwanzig Jahre) und das merkt man manchen transportierten Inhalten an. Ja, sie ist ihrem Alter weit voraus und das beweist sie mit einer umwerfenden Bildauswahl. Ja, sie ist eine Entdeckung, die schon jetzt Freude macht und sehr viel für die Zukunft verspricht.
Silex benennen wir glasartig zersplitternden Stein, die Römer verstanden darunter nicht nur Granit, sondern auch Kiesel. Mit diesem Titel erweckt Lydia Steinbacher eine spezielle Leseerwartung, die ihre Wasserbilder und kontrastreichen Skizzen, das Aufeinanderprallen von Licht und Finsternis, das Scharfkantige ihrer Verse großartig erfüllen. Sie kann so wunderbar dramatisch werden (z.B. in Wenn ich versteinert wäre) und bricht punktgenau ab, um das banale Detail einer Schuppe im Haar als flüchtige Metapher zu permanenter Veränderung und Verfall zu setzen.
Die meisten Gedichte sind in freier Form geschrieben, unterliegen aber einem rigorosen Rhythmuskonzept, das oft erst beim zweiten, dritten Lesen alle Feinheiten und Subtexte freigibt. Kein Wunder, dass der Zeitbegriff ein Thema ist, mit dem sie sich immer wieder auseinandersetzt, selbst wenn es vordergründig um etwas ganz anderes geht: erst morgens lenkt mich ein messstrich der uhr / macht mich zum zeiger gebrochener stunden. Und obwohl das Verrinnen der Zeit ja schon zum Erbrechen oft mit Wasserströmen, Tropfen und Nebeldunst verglichen worden ist, gelingt Lydia Steinbacher erstaunlich Neues: Sie malt mit breitem Pinsel und setzt gekonnt wenige Striche mit spitzer Feder darauf, sie umkreist eine weiße Fläche mit brillant harten Schraffuren und weicht sie an einer Stelle voll Wärme auf. Zur brust genommen jedes kleine wort / und kusshaft das kuvert verschlossen / die schweren sätze musst du selbst austragen / weil tauben damit nicht mehr fliegen werden.
In kommenden Gedichten wird vermutlich die Präsenz der schwergewichtigen Nacht weniger werden, werden die Naturbilder von neuen Erfahrungen vielleicht in städtische Strukturen verwandelt. Auf jeden Fall wird es spannend sein, die Lyrik von Lydia Steinbacher weiter zu verfolgen. Die Herausgeber der Reihe Neue Lyrik aus Österreich haben eine feine Nase mit dieser Entdeckung bewiesen.
B.K.
Veröffentlicht im PODIUM 2014